Drei Ensemblemitglieder und ein Haus: Das kleine Erfurter "Theater in der Kapelle" versucht als Nische abseits des großen Kulturbetriebs zu bestehen. Für Leiter Heinrich Kus ist dieser praktizierte Minimalismus sein besonderer Weg, Theater zu machen.
An der Tür hängt ein Zettel: Schauspieler gesucht. Dahinter der Tresen, an dem Heinrich Kus, Regisseur und Hauptdarsteller, die Eintrittskarten verkauft. In der Pause begibt sich das Dreier-Ensemble in die winzige Cafeteria und schenkt eigenhändig das Bier aus. Dabei wird mit dem Publikum schon mal das Stück diskutiert. Sie sind Schauspieler, Maskenbildner, Regisseure, Dramaturgen, Beleuchter, Bühnenbildner, Hausmeister, Kostümbildner in Personalunion. Drei Leute, ein Haus. Wie hübsch. Aber im Ernst. Kann man so Theater machen?
Heinrich Kus verschränkt die Arme. Gegenfrage. Was braucht man, um Theater zu machen? Eine Bühne, ein Publikum und Leute, die darauf brennen zu spielen. Man kann auch so Theater machen. Mit Minimalbesetzung, ohne raffinierte Bühnentechnik, ohne den ganzen Betrieb, der ein herkömmliches Theater am Laufen hält. 38 Jahre ist er alt, und er hat es auch anders erlebt. An den Häusern in Leipzig, Zeitz und Dresden, wo er als Anfänger von Regisseuren wie Engel oder Thalheimer gelernt hat. Für ihn, sagt er, war das inspirierender, als es je ein Studium sein kann.
Trotzdem. Der Theaterbetrieb hat ihn befremdet. Am Anfang irritierend, schleichend, später immer beklemmender. Ein Bühnenbild für 20 000 Euro einfach mal zerschreddert, weil dem Regisseur plötzlich eine neue Eingebung überkam. Inszenierungen, bei denen die Hast nach Effekten die Geschichte überlagerte, die sich vom Publikum immer weiter entfernten. So hat er es empfunden. Und es war nicht seins. Ambitionen, Ehrgeiz, das sind so große Worte. Und manchmal kann es passieren, dass sie einen ersticken. In Leipzig bei Wolfgang Engel sollten auch die Assistenten inszenieren. Hast du ein Stück? Aber alles was er hatte, war eine eiserne Klammer ums Herz. Und das Gefühl, dass dieses Feuer, das ihn auf diese Bretter trieb, immer kleiner wurde.
Natürlich ist es so. Natürlich frisst sich die Realität irgendwann durch jeden Idealismus. Aber einen Urgrund, eine Sehnsucht, die muss man doch beschützen. Deshalb ging er.
Dass er über das Galli-Theater in Erfurt nicht viel wusste, war eigentlich ein Glücksfall. Sonst hätte er sich vielleicht nie eingelassen. Der Ruf, den das Haus zum Schluss in der Stadt hatte, war verdient. Doch als sich das Franchising-Unternehmen aus Erfurt zurückzog und ihm den Weiterbetrieb anbot, erkannte er seine Chance. Manchmal findet man seinen Weg. Und manchmal ist es der Weg, der einen findet. Ein Jahr ist das her. Das Theater in der Kapelle öffnete im Januar 2010.
Den Minimalismus, mit dem er seitdem in der Magdalenenkapelle mit den höchstens 90 Zuschauerplätzen Theater macht, könnte man ihm mit einiger Dramatik verschieden auslegen. Selbstgenügsamkeit eines am großen Theaterbetrieb Gescheiterten? Oder im Gegenteil, ein Rebellieren gegen die Eitelkeiten der Branche?
Zweimal nein. Vielleicht könnte man es eine Nischenexistenz nennen. Oder einfach nur, eine eigene Art von Theater. Die im Übrigen ihre besonderen Herausforderungen hat. Natürlich ist es immer so, egal wie groß oder wie klein die Bühne ist. Das Schauspielen ist eine Kunst, die den Künstler auf besondere Weise ausliefert. Er hat nur sich selbst, seinen Körper, seine Stimme. Auf einer großen Bühne, sagt er, ist man mehr geschützt. Da ist noch ein Hauch von Abstand, von Unnahbarkeit vielleicht. Doch auf der kleinen Bühne vor dem kleinen Zuschauerraum schrumpft jeder letzte Rest von Distanz auf eine Intimität zusammen, in der sich nichts vertut. Du hast keine Chance, sagt er, irgendeine Reaktion zu überhören. Du spürst jede Regung, die aus dem Zuschauerraum kommt. Jede Zustimmung, jede Freude, aber eben auch jede Gleichgültigkeit.
Sicher, diese Distanzlosigkeit ist ein einseitiges Risiko aufseiten der Schauspieler. Aber dafür ist sie auch eine zweiseitige Chance. Wenn er eine Konzeption für das Theater benennen sollte, dann ist es die Kommunikation. Theater muss ein Ort der Kommunikation sein, eine Stätte der Begegnung.
Am deutlichsten wird das, wenn Kinder im Raum sitzen. Da ist das gewollt, provoziert. Soll ich in den Apfel beißen, fragt das Schneewittchen von der Bühne herunter. Nein?! Warum denn, er sieht doch sooo schön aus. An solchen Stellen, sagt er, beginnt bei Kindern eine Reflexion und ein Einfühlen. An solchen Stellen beginnt für sie eine wirkliche Geschichte. Manchmal kommen zu diesen Veranstaltungen sogar Erwachsene ganz ohne Kinder.
"Was, 16 Euro für einen Eintritt?!" Solches entrüstetes Erstaunen bekam er auch schon zu hören. So etwas tut weh. Als wäre es ihre Arbeit nicht wert. An solchen Abenden fällt es schwer, diese Intimität zum Publikum auszuhalten, die Verletzung nicht mitzunehmen auf die Bühne.
Aber das ist selten. Meistens erleben sie diese Nähe als befreiend. Vor allem auch für das Publikum. Manchmal sitzen da Menschen, weiß er, die schon seit Jahrzehnten nicht mehr im Theater waren. Als ob diese besondere Intimität die Hemmschwelle herabsetzen würde vor der Begegnung mit dieser Kunst, von der sie glauben, sie wäre für sie sowieso viel zu abgehoben. Dann hört er in der Pause ihre Begeisterung und ist sich sicher: es ist ein richtiger Weg, Theater zu machen. Nicht der einzige, aber eben ihr Weg. So empfindet das auch Sabine Henn, mit 28 Jahren die Jüngste im Ensemble. Eine Inszenierung von Anfang bis Ende mitgestalten zu können, wo kann man das schon? Und wo lernt man auf Situationen zu reagieren, so nah am Publikum?
Als einmal eine Zuschauerin seinen Text als Aufforderung verstand und die Bühne bestieg. Du hast doch jemanden gesucht. Da bin ich. Da muss man mit Feingefühl improvisieren. Ohne zu verletzen und ohne das Stück in einen Klamauk zu führen. Nähe bedeutet nicht Beliebigkeit. Gerade proben sie an "Escape!", von Rainer Lewandrowski über Amoklauf an Schulen. Das Haus voller Jugendlicher und nach der Vorstellung ein Gespräch. Das ist es, was ihn treibt.
Und die große Bühne? Ist da noch ein heimlicher Stachel, eine uneingestandene Sehnsucht? Gar nicht. Er kennt Kollegen, die haben Jahre auf ihre große Chance gewartet. Jetzt fahren sie Taxi oder verkaufen Versicherungen. Er aber, er spielt.